

Mittwoch, den 13. Mai 1925
Wir haben jetzt unseren eigenen Garten!
Ich habe tatsächlich alles mit meinem kleinen Verstand zuwege gebracht. Es ist zwar etwas anstrengend, aber man wird so herrlich müde davon und grübelt abends nicht mehr stundenlang, ehe man einschläft.
Ich finde es ganz Schade, dass Hedwig sich immer so klein macht. Von wegen kleiner Verstand!
Der alte Turm ist herrlich – so, als wäre er für die Ewigkeit gebaut.
Ich war heute mit Sabinchen oben. Die dicke, alte Mauer und ihre Fensterhöhlen, wenn die erzählen könnten! Ich würde ihnen so gern zuhören.
Da will ich auch mal hin! Man kann inzwischen Führungen machen. Wer kommt mit?
Hier führe ich ein ganz neues Leben.
Manchmal denke ich, das bin ich gar nicht. Es fühlt sich an, als müsste ich aufwachen und mich in meinem Bett in Hannover wiederfinden.
Heute hat mir Sabine ihren ersten Kuss auf die Lippen abgebettelt. Sie ist so reizend, wenn wir allein sind, aber in Gesellschaft tut sie oft so, als wäre ich kaum da.
Die Gräfin von Platen kommt mir sehr eingebildet vor.
Sie scheint sich selbst für äußerst interessant zu halten und wie sie mit der Baronin umgeht. Ich mag sie nicht. Ich glaube, sie hält sich mir gegenüber in Bezug auf Geburt und Verstand für himmelhoch überlegen. Manchmal lächle ich nur darüber.
Auch die Baronin kann manchmal in ihrer Art ungewollt beleidigend sein, etwa wenn es um das Kaffeetrinken am Nachmittag geht. Vielleicht denkt sie, ich fühle solche Dinge nicht.
Er (der Baron) ist da ganz anders, zumindest dem Anschein nach. Am Sonntag war ich mit ihm in der Kirche.
Der Weg dorthin, entlang der alten Mauer, war entzückend, auch wenn es regnete. Er ging voran, öffnete die große Tür, gab mir ein Gesangbuch und bot mir den Sessel rechts an. Er sagte mir die Nummern und dann sangen wir beide aus voller Kehle – das war schön. Manchmal bemerkte ich seinen Blick auf mir, aber ich ließ mir nichts anmerken. Als der Lehrer predigte, flüsterte er mir zu: „Das ist aber ein Reinfall.“
Nach dem Gottesdienst wollte ich die Tür öffnen, aber es ging schwer.
„Das schaffen Sie doch nicht mit Ihrer kleinen Hand“, sagte er und legte seine große Hand auf meine. Ich zog sie schnell weg.
Es regnete noch immer etwas, und wir gingen den Weg entlang.
„Ach ja, so ist es“, entfuhr es mir Widerwillen.
„Fühlen Sie sich hier noch so unglücklich?“, fragte er. Ich gab keine rechte Antwort.
Alle hier sind auf unterschiedliche Art unangenehm. Bin ich froh, dass Adel keine Bedeutung mehr hat heutzutage. Wobei es immer Leute geben wird, die sich für was besseres halten als alle anderen.
Das Leben ist merkwürdig.
Nachmittags fuhren wir mit dem Auto nach Uslar. Diese Fahrt im Karussell werde ich nie vergessen.
Doch sonst fühlte ich mich oft sehr einsam. Briefe bekomme ich genug, das ist tröstlich.
Heute Morgen machten wir wieder einen Spaziergang. Unter einem blühenden Apfelbaum, im hohen Gras, blieb ich stehen. Meine Augen tranken das Bild: die blaue, klare, traurige Luft, die Berge mit ihren Tannen, die Wiesen, die Lerche über uns und in der Ferne der alte Turm.
O Welt, wie schön, wie schön! Die Welt wird schöner mit jedem Tag. Man weiß nicht, was noch werden mag. Das Blühen will nicht enden. Es blüht das fernste, tiefste Tal. Nur armes Herz, vergiss der Qual! Es muss sich alles, alles wenden!
aus „Im wunderschönen Monat Mai“ von Hermann Allmers
Dieser letzte Abschnitt war das Vorbild für das Beitragsbild. Ich benutze künstliche Intelligenz um Urheberrecht zu umgehen. Die meisten Bilder werden auch ganz gut, aber ich brauche teilweise 3-4 Versuche.


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