

Freitag, den 26. Juni 1925 – Adelebsen
Gestern Abend unternahmen Fräulein Sprenger und ich einen weiten Spaziergang. Über den dunklen, bewaldeten Bergen stand die schmale Mondsichel. Jedes Mal, wenn wir in eine Talstraße einbogen, fasste uns ein kalter Nachtwind. Die hohen Ähren wiegten sich leise hin und her, und irgendwo war ein merkwürdiges Zirpen zu hören – war es ein Vogel? Die Nacht senkte sich über die Höfe, über Felder und Fluren – tief unten, dort, wo wir hingingen.
Unten beim Fürstenhaus schlugen die Hunde an. Ich eilte die Steinstufen hinauf, ging langsam den Stieg entlang auf den Burghof. Vor der Tür stand ein Mädchen, ihr Schatz hielt sie bei den Händen. Die Wendeltreppe hinauf – diesmal ging’s schon besser –, dann gebadet und schnell ins Bett.
Heute beim Frühstück fragte Herr Schmidt, ob ich immer abends spazieren ginge – er sei eher morgens unterwegs.
„Aber ich habe den Mond gesehen“, sagte ich.
„Und ich die aufgehende Sonne.“
Die Baronin fuhr wieder nach Göttingen. Wir vier blieben allein. Bine und ich machten einen langen Gang bis zum Holz, das dem Flecken gehört. Müde und hungrig kehrten wir zurück. Ich frisierte mich noch, da läutete es schon zum Essen.
Nach der Suppe servierte Herbert zuerst Herrn Schmidt. Aber da der ja nicht adelig ist, ließ er mir schließlich doch den Vortritt. Einer von vielen kleinen Nadelstichen war damit geheilt.
Dann sprachen wir über unsere geplante Reise nach Barterode. Herr Schmidt machte ständig Anspielungen in Richtung „Absteigen am Berge“, wie es der Baron gewünscht hatte. Später kam das Gespräch auf das Theater in Göttingen.
Plötzlich sagte er: „Gnädiges Fräulein, da müssten wir eigentlich mal morgen Abend hin.“
Ich war einverstanden, aber Bine nicht: „Fräulein Oltrogge darf sich morgen nicht anstrengen, weil wir Sonntag nach Barterode fahren.“
Er lachte, ich lachte.
„Und dann darf sie auch nur mit, wenn ich mitfahre.“
„Aber so schlimm ist das mit der Anstrengung wirklich nicht,“ entgegnete er. „sieh mal: Fräulein Oltrogge fährt doch im Auto, ganz hin und ganz her. Sie braucht auch am Berge nicht auszusteigen. Und dann ein paar Stunden im Theater sind höchstens angenehm.“
Aber Bine blieb dabei: Ich müsste lieber Sonnabend schlafen, sonst könnte ich Sonntag nicht aufstehen.
Nach dem Essen gingen wir in den Garten. Bine wollte erst noch Waldi füttern. Wir besahen uns das Schloss von außen. Herr Schmidt sagte, er hätte es anders gebaut, und entwarf mir einen eigenen Plan. Er hätte sogar eine Aufzeichnung, die wolle er mir mal zeigen.
Dann fragte er mich nach dem Gutshaus unten, aber ich kannte es nicht. Also beschrieb er es mir: es wäre sehr praktisch, entspräche durchaus seinen Anforderungen. Wenn er erst dort wohne, müsste ich mal herunter kommen.
Dann kam Binchen – und nun ging die Spielerei mit Waldi los.
Ich sehe den nicht mageren Ostpreußen bäuchlings auf der Mauer liegen, um für Binchen Kirschen zu ergattern,
während Waldi auf seinem Rücken herumkriecht und ihm Hals und Ohren beschnüffelt.
Ich konnte nicht mehr – das war zu viel!
Dann lotste Bine ihn mit uns zum unteren Lustfeld, wo Waldi sich noch blödsinniger gebärdete. Herr Schmidt brauchte nur die Arme und Hände vorstrecken, da rannte der Köter wie ein wildgewordener Affe los, umsprang ihn laut kläffend.
Dann kam der Wagen mit der Baronin. Sie brachte uns Kirschen mit, die Bine immer am liebsten alle für sich behalten wollte.
Aber die Baronin sagte extra: „Für Fräulein Oltrogge und dich.“
Ich bin so froh, obwohl die Sonne heute gar nicht scheint.
Und ausgerechnet morgen… kommt diese Gräfin Inge.


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