


Dienstag, den 21. Juli 1925
Von Idel kamen zwei Briefe, sie ist wieder versöhnt. Sie schreibt, ich sollte erst nach den Ferien auf dem Gut Besuch machen. Na, nun ist es zu spät.
Bine hatte ihre Mama gefragt, und die sagte, wenn ich wollte, könnten wir ja gehen. In mir die wiederstreitendsten Gefühle. Als wir den Berg hinuntergingen, wäre ich am liebsten wieder umgekehrt. Dann ging ich, halb wie im Traum, über den Hof, wo der Maler das Tor anstrich bis hin zum Garten, Bine an der Hand. Da ruft schon eine Stimme aus dem Garten, es war der alte Schmidt, der bei den Gartenmöbeln beschäftigt war. Er hatte mich für seine Tochter gehalten. Dann führte er uns ins Haus.
Im Vorflur helle Korbmöbel, links ein Zimmer mit vielen Klubsessel, wo alles dunkel war. Dort setzten wir uns hin. Das Kind war der Mittelpunkt. Dann wollte er seiner Familie Bescheid sagen. Hinter mir ging die Tür auf, da stand er, groß, strahlend, erstaunt, scheinbar erfreut. „Das ist ja großartig, dass ihr gekommen seid“, sagte er, ging zum Grammophon und ließ es spielen.
Dann kamen nacheinander die Schwester (groß , braun, hübsch) und die Mutter, (klein ziemlich dick, ruhig, scheinbar tüchtig und energisch). Über Bine lachten alle, sie war auch reizend gestern mit ihren Antworten.
Im Mittelpunkt stand unsere Höhlenwanderung und immer wieder sagte er, er wollte mal wieder mit uns, er musste mal wieder so lachen. Drehwurm. Göttingen. Mariaspring. Alles wurde erwähnt. Bine war ausgelassen, lachte und wippte in ihrem Sessel auf und nieder. Dann saß sie still, einen Moment lang stockte die Unterhaltung, da springt das Kind auf und fällt mir um den Halsw. Es war das Werk einer Sekunde. Ich kriegte nur „Bine“ heraus, denn ich fühlte alle Augen auf mich gerichtet. Dann saß Bine wieder in ihrem Sessel und sagt halb lachend: „Nun, bist du wieder ganz rot geworden.“
„Das kommt von deinem Überfall“, erwidere ich halb ärgerlich.
Schließlich gehen wir alle in den Garten. So groß hatte ich mir den gar nicht vorgestellt. Die Herren waren mit einem Mal verschwunden. Kein synchronisierender Schritt hinter mir.
„Na, dann nicht“, dachte ich.
Durch den dunklen Gang, über die Schwülme (Fluss in Adelebsen), kam man in den kleinen Park, wo das Gebüsch nach der Straße hin enger hätte sein können. Wir erörtern das noch und nähern uns dem Ausgang. Da fasste Bine plötzlich meinen Arm, zeigte vor uns auf dem im Seidenanzug dastehenden, und ruft: „Sieh doch, wir sind ja eben geknipst.“
„Ja, wir wollen noch ein paar schön Aufnahmen machen.“
Und nun wird stehend, sitzend, mit und ohne Rosen unser Konterfei (Abbild), gemacht. Als wir uns auf dem Rasen niederlassen sollen, fragt die Schwester: „Welchen Teil des Schlosses willst du denn nun eigentlich mit „drauf“ haben?“
„Das ist einerlei, euch will ich haben.“
Dann sollte ich noch sein Haus (das Schloss des armen Mannes) loben. Und Mittwoch soll ich noch mal vorbeikommen und fragen, ob sie mit nach „Mariaspring“ fahren wollen. Danach holten wir Hilde mit dem Auto ab. Und die Schaukel soll noch drangemacht werden, damit Bine schaukeln kann. Er wollte noch mit uns in die Ställe, aber da es schon halb sieben war, musste ich diesmal ablehnen.
„Ich hoffe, Fräulein Oltrogge, Sie kommen nun öfter zu uns“, sagte er, worauf seine Schwester ihm beistimmt.
Sie wäre ja immer allein. Beim Abschied schüttelte er mir ungestüm die Hand, dabei
klirrten die Sporen. Dann liefen Bine und ich nach Hause. Die Leute auf dem Hofe sahen uns nach.
Den Berg hinan, die Treppe hinauf. Oben treffen wir die Baronin: „Nun ihr beiden Backfische, wie wars denn?“
Und dann erzählte Bine von unserem Besuch unten und dass ich nach „Mariaspring“ wollte. Ich berichte von Hildes Einladung und schelmisch droht sie mir, aber ist gern einverstanden. Immer wieder sagt sie, dass sie sich so über uns beide freut.
Nun geht’s hinunter in die Hängematte. Bine und ich. Zwei weiße Kinder, jubeln und lachen, und die Baronin ruft uns aus dem Fenster zu. Da kommt Tante Ilse und schon erklärt ihr warnender Ruf: „Hoffentlich reißt das nicht wieder.“
Ich erzähle hochtrabend von doppelten Versuchen etc. Bine schaukelt etwas mehr, die Tante guckt. Ich sage noch zum Seil: „Bitte reiße nicht!“
Da sitzen wir schon auf unsere vier Buchstaben. Bine lacht: „Das hat gar nicht wehgetan“
„Siehst du wohl, habe ich es nicht gesagt.“
Ich war doch wütend auf das Seil, den viereckigen Hacken, etc.
Dann hörten wir den Wagen mit dem Sepp herausholen. (Bettina v. Schneller mit Papa und Kinderfräulein. Aus Stuttgart.) Wir eilten schon, Waldi hinter uns lassend.
Diese Nacht habe ich so gut wie gar nicht geschlafen. Es war so warm im Zimmer. Bine war endlich eingeschlafen, aber ich hatte die sonderbarsten Vorstellungen. Alles erlebte ich noch einmal, hörte die einzelnen Worte wieder, sah die Menschen und kam nicht davon los.
Hannover und alles andere lag wie in grauer Vergangenheit hinter mir. Ich sah die
Gegenwart und träumte einen wunderschönen Märchentraum.
Ich bin gespannt, wie es morgen wird. Mein Geldbeutel will lieber mit dem Auto
fahren und H. W. sicher lieber mit der Bahn.
Wenn ich daran denke, dass ich wieder da hinunter muss, dann graut mir jetzt schon.
Ich freue mich so über Idels Brief. Da ist wirklich an meiner Liebe etwas. Nein, viel! Nein, alles geborgen.
Die Kinder spielen im Garten, die Erwachsenen trinken Tee auf der Altane (eine Art Balkon). Der Baron ist auch wieder da. Als ich die Treppe hinanlief, fragt er mich, wie mir der Sepp gefiele. Dann sah er die Treppe herauf und ich mich über das Geländer beugend hinunter.
Es ist ein heißer Sonntag. Ehe ich abreise muss ich nochmal durchs wogend Kornfeld laufen. Denn wenn ich wiederkommen, ist sicher alles leer.


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