Zurück im Regen

3–5 Minuten

Mittwoch, den 26. August 1925

Am Tisch sitzen Bine und Sepp. Bine schreibt mir einen langen Brief und hält ihm dabei all ihre Unarten vor, die sie mir schreiben will. Sepp macht darüber nur große, verwunderte Augen. Bine gibt die strenge Alte. Ich studiere lieber Katzen und Kinder.

Die Baronin und Mädi sind mit dem Auto nach Hannover gefahren. Heute beim Frühstück saßen nur die Kinder und ich am Tisch, während draußen immer noch der Regen fiel. Da kam Herr von Mühlendahl herein: groß, schlank, sonnengebräunt, mit tiefer, angenehmer Stimme. Jeder Zoll ein Offizier, und doch ganz ohne Ziererei. Einfach, vornehm und ruhig. Eine tadellose Verbeugung, ein fester Händedruck mit der einen gesunden Hand.

Er setzte sich zu uns. Ich schenkte ihm Tee ein und wir plauderten über die Heide, über Göttingen, wo er studiert hatte, und auch von Hermann und Adolph erzählte ich ihm. Dann rief die Schule, und wir mussten ihn mit Sepp allein lassen. Gern hätte ich noch länger auf seine Stimme gehört, so ruhig konnte ich ihn ansehen, so gut waren seine Augen.

Mein Empfang hier war reizend: An der Bahn holte mich Kramer ab. Diesmal musste ich nicht am Berge aussteigen. Im flotten Trab fuhren wir bis vor die Freitreppe. Da stürmten wir die Stufen hinauf. Bine ließ mich nicht los. Die Baronin, der Baron, Schellerer – alle begrüßten mich herzlich. Dann ging es weiter die Treppe hinauf zu Hänschen und Muschi. Ich blickte aus dem Fenster und sah ihn gerade über den Gutshof gehen. Dann gingen wir hinunter zum Tee. Die Kinder wichen und wankten nicht: „Wichtel, Wichtel…“

Nach dem Abendbrot saß ich mit den Kindern zusammen und erzählte Märchen auf der Chaiselongue. Die Erwachsenen waren am Spieltisch.

Gestern Morgen erzählte Mädi beim Frühstück plötzlich, dass ihr die Sache mit Herr Schmidt nicht ganz geheuer ist. Zweimal habe er sich auf Umwegen nach mir erkundigt.

„Ja, und Binchen muss dann immer herhalten“, ergänzte die Baronin. Es ist schon komisch, wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich ihn. Heute Morgen zu Pferde. Das Pferd wollte aber nicht so recht, da bekam es die Peitsche zu fühlen und bäumte sich hoch auf. Am Abend aber lief ihm sein kleiner Neffe entgegen; er hob ihn lachend hoch in die Luft und trug ihn auf dem Arm davon.

Es regnet unaufhörlich. Die Tropfen prasseln auf das Blechdach und erzählen immer dasselbe: Hoffnung, Wünsche, Schmerz.

Im kleinen gelben Wagen sind die beiden Herren eben weggefahren. Bine meinte zu Beginn der Schule: „Wenn das Wetter besser wird, gehst du heute Nachmittag mit uns zu Schmidts, die haben eine wunderschöne Schaukel, und sie haben uns immer eingeladen.“

Aber ich kann doch nicht ohne offizielle Einladung hingehen. Ausgeschlossen! Ich tu’s auch nicht. Als ich vorschlug, sie sollten doch mit Monika hingehen, meinte dieses Gör: „Das wäre ja noch schöner. Jetzt, wo Wichtel wieder da ist! Herr Schmidt will doch gerade dich dabeihaben.“

Dann erzählte sie von einer Begegnung: Er ist im Wagen gefahren, und hat angehalten, als er sie sah, und gefragt, wo ich denn sei. Also hat er doch wohl mal an mich gedacht… ob jetzt auch noch?

Manchmal denke ich, wäre es nicht besser, wenn dieser ewige Kampf endlich ein Ende hätte? Es gibt ja doch keinen Ausweg. Immer so weiter, das reibt einen ja auf. Nur einmal einen Blick in die Zukunft. Oh, Gott, nur einen! Selbst wenn die Zukunft aus lauter Scherben bestünde, aus Tränen. Nur einmal möchte ich glücklich gewesen sein. Nur einmal von einem geliebten Menschen wiedergeliebt werden.

Noch immer regnet es. Dicke Tropfen schlagen ans Fenster. Muschi schaut mich mit schwarzen Augen an, ihr warmer Katzenleib schmiegt sich an mich, und ihre rosa Pfötchen greifen nach meinen Fingern.

Nach Tisch spielten wir mit den Mühlendahls drei Partien Mah-Jongg. Ich sehe ihn noch im grünen Sessel neben mir sitzen. Erst fragte er, ob er bei mir einsehen dürfe. Ich bemerkte seine hübschen Augen. Ich glaube, sie sind braun.

Nachher wollte er mich ruinieren und tatsächlich: er gewann, weil ich mich zu früh deklariert hatte. Dann ließ er, mit einem Mal, hatte sein Tang etwas „aus dem Kopf fallen lassen“, direkt hinter meinem Stuhl. Da musste ich lachen. Er auch. Er blieb aber seelenruhig sitzen. Bine holte Taulin, der den Schaden kurierter, und wir spielten weiter.

Eben kamen Römers vorbei, und Bine erzählte mir, dass Mühlendahls in Göttingen wohnen.

Muschi scheint sich bei mir sehr wohlzufühlen.

Wo er wohl meinen Brief hat?

Wenn es doch nur endlich aufhörte zu regnen! Die Ernte. So viel Weizen ist noch draußen! Auch seiner.

KI generiert

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