Glück, das nicht hält

5–7 Minuten

Freitag, den 18. September 1925

Es regnet wieder. Lotte Schmidts schöne Tour, das Heu und der Hafer. Bine schläft. Auf das Blechdach trommeln die Tropfen, und ich denke wieder ich träume. Aber es war doch wahr: Kirmes in Göttingen:

Lotte und ich gingen untergehakt, die beiden Herren waren dauernd weg. Verloren im Spiel. Viel Geld war nicht mitzukriegen. Das war ein Tam-Tam! Der Mensch mit den zwei Mägen verursachte mir fast Übelkeit. Wie er die Uhr und die Mäuse verschluckte und wieder herausholte. Die anderen wollten mir mit Likör, Schokolade und anderem helfen. Ich sehe uns noch vor der einen Bude stehen, Lotte wollte gerne Schokolade haben, und er kaufte sie sofort. Auch für mich, obwohl ich behauptete, eine Tafel reiche uns. „Wenn Sie wüssten, wie gern ich’s täte“, hatte er gesagt.

Im Zelt wurde getanzt. Lotte tanzte mit Herrn Edam. Wir beide blieben sitzen und klönten. Er wollte wissen, inwiefern mir der Baron nicht gefiele. Er sah mich forschend an. Wie sollte ich ihm das erklären? Schließlich sagte ich: „Er muss erst wissen, wen er vor sich hat.“

Aber dann war ich todmüde, diese dauernde Aufregung… Die anderen wollten eigentlich noch Musik hören, aber dann hatte er Erbarmen mit mir: „Die Kleine klappt zusammen. Wir wollen fahren.“

Ich saß wieder neben ihm. Da habe ich ihm noch mehr vom Baron erzählt. Ich dachte immer, er sollte etwas dazu sagen. Aber er schwieg. Schon dachte ich, er hätte gar nicht zugehört. Doch das hatte er, denn mit einem Mal hatten wir uns verfahren.

Im Winter soll ich mit ihm Schlitten fahren und ins Theater. Er war so gut. Wie kann ich das nur wieder gutmachen?

Montag war ich abends bei ihnen. Schaukeln unterm Sternenhimmel. Drinnen gab es dann Mokka und Zigaretten. Dann forderte er mich zum Tanz auf. Kein Wort, nur schmeichelnde Musik: „Küsse mich, denkst du denn, ich mach mir Sorgen, wer der Nächste ist?“

Mit Herrn Edam habe ich auch getanzt, wir redeten über das Erntefest. Dann wieder mit ihm. Er stand neben meinem Sessel, beugte sich herab und klopfte die Hacken zusammen, als ich nicht gleich kam. Am liebsten wäre ich gar nicht gekommen. Ich zitterte vor Angst. Es war schon spät, als ich heim ging. Die Sterne leuchteten, als ich den Berg hinabstieg. Ist das nun wirklich Liebe? Aber ich fühle, alle Sonne würde verschwinden, wenn ich nicht mehr zu ihnen könnte. Ich bin jeden Tag dort.

Gestern und Mittwoch ist der Baron mit den Kindern und Rosental (?) Auto gefahren. Leider war für mich kein Platz mehr. Bine war traurig, aber mich schmerzte es nicht mehr. Die Sonne lachte und ich wollte Lotte zu einem Spaziergang abholen. Vor der Pforte stampfte sein Pferd, Waldi begleitete mich, auf den Flur. Ein Arbeiter kam aus seinem Zimmer, dann kam er mit Lotte die Treppe runter. Ich musste erst mit ins Herrenzimmer. Er stand und sah mich von der Seite an, als er sagte: „Was fange ich nun an? Die Lotte will verreisen, dann bin ich ohne jegliche Frau.“

„Dann musst du dir andere einladen“, sagte sie lachend.

„Ja, deshalb klopfte ich ja schon an.“

„Nun wollte ich doch, dass ich nach Mariaspring gefahren wäre“, entfuhr es mir.

Er war auch fast bereit, zu fahren. Er musste nur noch schnell ins Feld reiten. So lange sollte ich da bleiben. Ich hatte ja Bedenken wegen Baronin und Bine. Dann zeigte mir Lotte ihr Zimmer, neben dem Schlafzimmer der Eltern. Dort waren auch ihre Handarbeiten. Ihre Mutter kam auch mit. Sie wollte mir alles zeigen. Die alte Großmutter kam auch einmal herein.

Als Lotte und ich allein waren, hörte ich einen festen Schritt. Er kam wieder und setzte sich aufs Sofa. Er hatte Waldi wieder mit heraufgebracht. Nun überlegten wir gemeinsam. Schließlich schlug ich vor zu losten und… zogen alle drei das kurze Streichholz. Sprachlos! Dann lachten wir los. Zum Fahren war es inzwischen zu spät. Dafür geht es nächsten Mittwoch ins Theater. Dann ritt er wieder weg.

Lotte und ich machten Mädchenwitze. Wir zeigten uns Bücher und komisch… Bei mir war lauter Trauer, bei Lotte lauter Glück.

Ich habe also nichts nötiger als meinen Humor, da mein Wunsch töricht ist. Wenn ich nur noch immer wieder so viel aufbringen kann. Es ist gut, dass niemand es weiß.

Unten plauderten wir dann noch mit den Alten. Später wollte ich Lotte zur Bahn bringen. Der Alte gefällt mir. Der ist aus echtem Schrot und Korn und sagt alles, wie er‘s meint. Kurz vor sieben kam er wieder: „Grüß Gott.“

Ja, ich war noch immer da. Dann brachte ich Lotte zur Bahn, Frau Schmidt kam auch mit. Der Zug kam schon, deswegen fassten wir ihre Mutter unter, und liefen nun im Eilschritt. Und kamen zum Glück früh genug.

Frau Schmidt und ich gingen dann durch den Nebel zurück. Ich habe von Adelsstolz und allem erzählt. Ich soll sie oft besuchen.

Als ich nach oben kam, saß man schon am Tisch. Bine fragte mich gleich: „Warst du auch bei Schmidts?“

„Nein“, sagte ich, sonst kämen nur ohne Ende Fragen. Der Baron wusste, dass ich an der Bahn gewesen war.

Eigentlich müsste ich noch Mal arbeiten, aber… Wie wird nur alles? Wenn ich doch ruhiger darüber sein könnte. Ich will mal mit meinem ganzen Herzen zu dem mit ungenähtem Rocke gehen…

KI generiert

Freitagabend

Ich habe mir das Bild dessen geholt, dem meine erste tiefe Mädchenliebe galt. Tief tragisch ist das Leben. Ich bin heute so unglücklich, und ich weiß nicht, warum.

Schulrat… Auf dem Festplatz sprach er mich an, dass ich keinen Unterrichtserlaubnisschein hätte. Am Ende lachte er doch. Oder ist es das, was Lotte Schmidt meinte: Wir fahren nun Mittwoch nach Göttingen und abends ins Theater, weil Kurt das Pensionat gern mal sehen wollte.

Wieder dieser Kampf. Jedes Mal bin ich zurückgetreten. Sollte ich es wieder tun?

„Ich bin schon so müde!“, wenn er was sagt, kann er mich nicht lieben.

Ich denke immer mehr, dass tot sein am schönsten sein muss.

Die Augen meiner großen Liebe sehen mich an. Wären wir tot, dann hätte alles Leid ein Ende. Ich fühle es: Er leidet auch.

Es ist doch verkehrt, dass ich ihn jeden Tag zu Pferde sehe. Immer, wenn ich aus dem Fenster schaue. Er reitet immer genau dann vorbei, wenn wir da sind. Heute sah er aus dem Fenster und kam dann über den Hof an die grüne Pforte. Da erzählte vom gestrigen Erntefest.

Lotte ist ein feiner Mensch, die möchte ich als Freundin haben.

„Die ganze Familie Schmidt ist so nett“, sagte Bine heute, „wirklich, da könnte man sich zu Hause fühlen.“

Nun kann ich immer dahin kommen und bin doch noch so unglücklich. Ich weiß, wie undenkbar es ist, und kann es doch nicht ändern.

Gleich ist es schon wieder halb zehn. Morgen will ich „Romeo und Julia“ lesen.


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