
Montag, den 28. September 1925
Ich habe eben schon an Hilde geschrieben, dass sie am Sonnabend und Sonntag herkommen soll. Hoffentlich kann sie, denn so eine Tat muss einen auf andere Gedanken bringen. Heute bin ich viel versöhnter mit der Welt.
Ich hatte einen wunderbaren Traum: Wir saßen nebeneinander, zuerst hatte ich ihm mit einem Heft eine Ohrfeige gegeben. Dann nahm ich seine Hand in meine beiden und zog sie an meine Lippen. Ich sah ihn gar nicht an, aber ich fühlte, dass er mich liebte.
Gestern Abend bei Tisch sprachen der Baron und ich über die hübschen Mädchen. Als Bine und ich schon in der Tür standen, rief er mir noch zu: „Sagen Sie mal, Fräulein Oltrogge, waren Sie eigentlich gestern sehr eifersüchtig?“
„Oh nein, wollen Sie das bemerkt haben, Herr Baron?“
„Nein, ich frage ja nur.“
„Darüber sind wir erhaben, nicht wahr, Fräulein Oltrogge?“ sagte Mädi, die mir immer hilft.
Gestern Abend habe ich „Werthers Leiden“ beendet. Ich erkenne deutlich die Gefahr, die in so einer wahnsinniger Liebe liegt, und frage mich, ob er glücklich geworden wäre, wenn er sie wirklich bekommen hätte.
Bine will nun unbedingt allen von der Ohrfeige erzählen. Ich habe sie so weit, dass sie es nur den Jungen sagen will. Meine Sünden wären schon zu viele, wenn sie es auch noch Herrn Edam oder den Alten erzählen würde.
Abends.
Meine Uhr steht still.
Wir waren eben beim Schaukeln. Lotte Schmidt und ich. Allein. Vorher hatte ich gesehen, wie die Alten im kleinen gelben Wagen wegfuhren und er fortgeritten war. Also war die Luft rein, und ich kam auf den Hof.
Da ruft jemand: „Guten Tag, gnädiges Fräulein!“
Es war Edam. Er hätte sich den Schluss des Erntefestes noch schöner vorgestellt. Er wäre unersättlich.
Dann rief Lotte aus dem Fenster „Huhu!“, und kam schnell herunter. Sie umarmte mich mit beiden Armen und war so lieb zu mir. Wir schaukelten und klönten über den Baron und sein Interesse für die Pensionatsmädchen. Für morgen Abend bin ich unten eingeladen, wir heizen uns ein Extrazimmer ein. Das wird schön.
Ich habe mich heute selbst wieder froh und frei getanzt. Der liebe Gott hat mir geholfen.


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