

Montag, den 26. Oktober 1925
Es ist 3 Uhr. Um 4 Uhr wollen Bine und ich mit Lotte spazieren gehen. Ich habe an Idel geschrieben. Der Himmel ist blau, aber es ist ein kalter Herbsttag.
Heute hat Bine gegen mein Gebot Munte gerufen. Nun hat er einen Radfahrer ins Bein gebissen! Der Kerl hatte Augen wie ein Luftschiff (Keine Ahnung, ob das stimmt). Ich will, falls Arztkosten entstehen, an den Baron schreiben. Das möchte ich nicht erleben.
Wir spazierten auf dem Lechtmar mit dem Bären. Wir waren rechts im großen Zimmer, links die Herren geschäftlich. Und Sonntagabend, an jenem Abend, als ich so todtraurig war, ist Lottes Bruder schon wiedergekommen. Als er wieder da war, fühlte sich gleich alles ganz anders an.
Wir gingen auf den Bramburg zum Steinbruch. Lotte fasste mich lachend um, und hüpfend ging es wieder hinunter.
„Der Abendstern“, Lotte stand und schaute ihn an. Die Dämmerung kam, Bine taufte uns um:
Lotte: Königin der Nacht, dunkel, groß, schlank.
Ich: Die kleine, runde Sonne.
Und sie selbst der Mond.
Nachher aber wurde die Sonne zu hell, da hatte Bine Angst.
Abends bei Tisch. Natürlich wurde alles wieder erörtert. Während Bine unten war, war der junge Herr Schmidt beim Baron. Als die Baronin später fragte, sagte er weiter nichts.
Dann saßen Bine und ich mit im Herrenzimmer. Der Baron sagte nur zu mir: „Ich habe Herr Schmidt gewarnt.“
„Das ist ja gut“, antwortete ich.
Wenn sie bis Viertel nach acht nicht hier sind, kommen Lotte und ihr Bruder wohl nicht mehr. Ich fragte schon, stand an Bines Bett, die Baronin war gerade weggegangen. Da ging die Tür auf, und neben mir stand Lotte. Nun war ich glücklich.
Nur bis zehn hatte sie Urlaub, weil sie heute früh mit nach Uslar wollte. Wir saßen auf dem Sofa. Auf dem Schreibtisch tickte die Uhr, draußen heulte der Sturm. Ich las ihr von Löns vor. Dann waren wir wieder beim alten Thema angelangt.
Ich fühlte, wie sie mir helfen wollte. Sie rang mit mir. Ich hatte ihr alles gesagt: mein Stolz, mein Leid, meine verlorene Liebe, meine Sehnsucht und mein Unvermögen. Aber das Eine konnte ich ihr nicht anvertrauen, gerade ihr nicht.
Wie gut mir ihre Freundschaft tut! Ich glaube, eine solche Freundschaft habe ich noch nie gefunden.
Ich sollte nicht so schwerfällig sein. Man ist nur einmal jung! Sie wünscht nur, dass ich endlich meine dummen Gedanken verjagen und nur nach dem Gefühl handeln soll. Niemand wolle sich mit mir nur amüsieren. Ihr Bruder und Herr Edam hätten gemeint, ich wäre ein Rätsel. „Entweder schauspielert sie kolossal, oder es ist gar nichts mit ihr los“, hätten sie gesagt. Die Männer hätten eher Angst vor mir, weil sie glaubten, ich würde sie nur auslachen. Das ist mir fast eine Beruhigung.
Wenn ich nur wüsste, ob er mich liebt! Aber sie sagt ja, das geht nicht von heute auf morgen. Das muss man sich erkämpfen: Vertrauen gegen Vertrauen. Dann wiederholte sie immer, dass ich an Rudchen schreiben solle. Also liebt er mich wohl doch nicht!
Aber ich soll hierbleiben. Sonst wäre ihr Kurt traurig. Er freue sich so über unsere Freundschaft. Ich erzählte ihr auch, dass ich Sonntagabend beim Baron so traurig gewesen war. Vielleicht sage ich ihr alles später einmal. In zehn Jahren…
Meine Ferien soll ich bei ihr verbringen. Ihr Kurt würde sich freuen, und bei ihr werde ich es gut haben. An ihrem Glück kann ich mich freuen. Sie hat sich in der Nacht solche Vorwürfe gemacht, dass sie mir so viel von ihrem Glück erzählt habe. Sie meinte, ich hätte dabei nur unglücklich sein können. Aber das habe ich ihr gründlich ausgeredet. Ich habe sie doch so lieb. Seine Schwester kann ich nicht noch mehr lieben, aber helfen kann sie mir auch nicht. Oh, Gott! Schenke mir doch auch das Herz des Bruders!


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