

Montag, den 2. November 1925
Oh, wenn er mich doch liebte! Keinen anderen, nur ihn. Alle anderen könnten mir so egal sein! Ich glaube, jetzt erst weiß ich, wie sehr ich ihn liebe. Ob es niemand merkt? Ob Lotte, ob seine Mutter, ob er selbst es ahnt?
Mir ist so seltsam zumute.
Eben sagte mir die Baronin, dass sie mir nächsten Monat zehn Mark mehr geben will. Als Trost für die ausgefallenen Privatstunden. Ich habe Idel gleich 40 Mark abgeschickt.
Heute und gestern. Ich halte es bald nicht mehr aus. Immer muss ich ihn sehen, immer bin ich unten. Alle sind so lieb zu mir, so herzlich, als gehörte ich ganz dazu. Womit habe ich das verdient?
Und doch wünsche ich mir noch mehr. Oh lieber Gott, schenke mir doch sein Herz! Wie lieb ich ihn habe. Alles würde ich für ihn tun, mein rotes Herzblut könnte ich für ihn hingeben. Aber zeigen darf ich es ihm noch nicht. Und wenn ich seinen Blick spüre, dann hab ich Angst.
Wie war es doch gestern:
Zuerst mit dem Baron, Bine und Lotte der Nebelspaziergang. Der Baron, in seinem grünen Anzug, aus dem dunklen Wald kommend wie ein Recke aus alter Zeit.Lotte und ich tauschten manch einen Blick.
Er nennt mich jetzt nur noch Wichtel. Überhaupt alle nennen mich jetzt so! Selbst Frau Schmidt sagt schon: „Fräulein Wichtel!“
Nach dem Kaffee wollte ich hinunter. Bine sah zu, wie ich mir den neuen weißen Jumper anzog. Ich gefiel mir. Eigentlich war mir kalt, aber innerlich bebte ich vor Aufregung und Erwartung. Mir war kalt, und doch… Ich fühlte mich wie eine andere. So ging ich den Berg hinunter, wie so oft schon. Bine jubelte mir aus „Mamis Zimmer“ zu.
Ich sah mich im Flur stehen. Lotte kommt, drinnen wird „gegackert“. Wenn ich über die Schwelle trete, muss ich immer erst tief atmen.
Alle waren da. Vorn saß der alte Herr Schmidt. Ich gab ihm gleich die Hand. Dann ging ich an allen Sesseln vorbei zu Frau Schmidt; mein goldenes Armband klang leise mit, wenn ich jemandem die Hand gab. Und schließlich saß ich ihm gegenüber.
Er trug den blauen Anzug. Ich bemerkt immer wieder einen verstehenden Blick von Herrn Edam. Er sieht beim Spiel zu mir hinüber. Ich sah ihn nicht an. Da sah Lotte mich an und ich sie. Aber ihn nicht!
Was für ein gemütliches Haus das ist. So ein Zuhause wünsche ich mir. Solch ein Verhältnis innerhalb der Familie. Wie die alle lachen können! Ich bin so glücklich, wenn ich dort bin. Aber nur, wenn er dabei ist.
Es war fast sieben, und ich wollte eigentlich zum Abendessen hinaufgehen. Da lud mich Herr Schmidt ein, doch zu bleiben. Und alle anderen auch! Ein Lakai in Gestald eines Mädchens wird nach oben geschickt. Ich bleibe also und sitze wieder im Sesel. Da hat er mir fünf Karten geschenkt, und ich gewann darauf das „große Los“. Ich musste vor Freude in die Hände klatschen.
Bei Tisch war Herr Edam wieder zum Totlachen. Frau Schmidt stieß mich immer wissend mit dem Arm an. In der ungeheizten Essstube war mir warm. Ich konnte fast nichts hinunter bekommen. Würde ich wohl jemals ganz zu diesen Menschen gehören?
Nach dem Essen reichten sich alle, wie es alte Sitte ist, im Kreise die Hände. Ich stand im Kreis zwischen Lotte und seiner Mutter.
Lotte, in ihrem weißen Schal, neben mir auf der Chaiselongue. Edam zog das Grammophon auf und machte dabei Bemerkungen. Ich würde ihm den Vorwurf machen, ein Ohrfeigengesicht zu haben.
Er saß bei seiner Mutter, ließ sich etwas von ihr erklären. Dann war er so weit und rief mich zu sich. Er macht mir die Sache mit den Streichhölzern vor. Im Eifer hatte ich gar nicht bemerkt, dass mein Gesicht dicht neben seinem war und meine Hand fast die seine berührte. Da legte ich die Hände in den Schoß und ließ die langen Ärmel hinabfallen.
Warum Herr Edam mich wohl wieder von der Seite ansah? Ob sie gemeinsam das Rätsel lösen wollen? Und es ist nicht doch so einfach?
Ach, wenn sie wüssten, dass hinter allem Lachen und Scherzen, hinter jedem verweigerten Blick nur die Liebe zu ihm steckt.
Wenn ich daran denke, dass ich eines Tages von hier fort soll, ist es mir, als verlöre ich die ganze Welt. Wie soll das nur werden?
Um 10 Uhr war ich oben. Die Baronin sah in mein Badezimmer und lachte nur. Ich war pünktlich. Aber schlafen konnte ich nicht. Immer hörte ich seine Stimme. Er liebt mich. Ob ich noch immer Angst vor ihm hätte? Doch er kann kein armes Mädchen heiraten. Selbst wenn er es lieben sollte.
Und heute wieder unten mit Bine. Lotte musste Mah-Jongg lernen. Herr Edam saß am Schreibtisch. Frau Schmidt sah bei mir zu. Ich weiß nicht, ob ich es mir nur einbilde, aber sie sah mich oft prüfend von der Seite an. Endlich kam Kurt.
Er musste gleich telefonieren. Deine Stimme ist so gewohnt zu befehlend, man merkt auch den Fahnenjunkerton durch. Er begrüßte mich mit einem merkwürdigen Händedruck und setzte sich neben mich in den Sessel. Auf der anderen Seite Herr Edam.
Dann sollte ich an jemand Karten schenken. Bine meint: „Das muss Wichtel tun.“ Herr Edam erstauntes „So?“, höre ich noch. Also schenkte ich ihm drei Karten.
Er ist zehn vor sieben. Bine war Feuer und Flamme. Sie ist schon sehr empfänglich für Herren. Ich schiebe meinen Sessel zurück, dann verabschiedeten wir uns. Er gab mir schon wieder so merkwürdig die Hand. Als ob noch ein Druck hinterher gekleckert kommt.
Jetzt will ich noch an Idels Decke stricken.


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