Aus Stein gehauen

1–2 Minuten

Dienstag, den 3. November 1925

Es regnet. Gut, dass ich nicht mitgefahren bin. Der Baron hatte mich noch nach Göttingen eingeladen. Bine quälte mich, ich sollte mit ihr hinuntergehen zu Schmidts. Nun tu ich das.

Ich sah ihn eben in seiner Lederjacke auf dem Hof stehen. So, als wäre er aus Stein gehauen. Ganz wie Oberleck.

Brief von Idel und von Marie. Die arme Idel hat was durchgemacht mit ihrem Wiesenverkauf. Und ob Marie wohl doch noch G. Br. liebt? Meyer ja scheinbar nicht.

Das ist das Leben.

Hoffentlich hat auch Lotte Nachricht von ihrem Kurt bekommen. Idel glaubt, dass der liebe Gott mich doch lieb hat. Wenn er mir nur diesen einen Wunsch noch erfüllte! Darf ich das nicht wünschen?

Bine sagte heute: „Vor dir haben alle Mädchen Respekt, vor Fräulein Kahle gar nicht. Und du pfeifst sie doch auch nicht an?“

Ich glaube, sie hat recht. Ich fühle selbst, dass sie mich achten und mich doch gern haben. Wenn ich durch die Reihen gehe und merke, wie die Kinder sich anstoßen und mich dann mit einem niedlichen Knicks grüßen, dann muss ich lächeln. Ich sehe in ihre Kinderaugen und denke daran, wie ich selbst einmal so klein war und mit Ehrfurcht grüßte.

Und für meine Bine bin ich die Lehrerin vom Schloss, und Lotte Schmidt ist meine Freundin. Ich muss ihr einmal eine Freude machen. Darum habe ich ihr meine Lieblingsgedichte aufgeschrieben. In einer Rolle gewickelt will ich sie ihr mit etwas Spott geben. Wenn sie einmal allein ist, soll sie es aufmachen.

Unten waren heute nur die Alten. Frau Schmidt hat rührend mit uns Karten gespielt. Die anderen waren in Uslar. Er hat sie mir also wieder entführt.

Hätte ich das gewusst, wäre ich mit dem Baron nach Göttingen gefahren.

Wie der Sturm ums Schloss heult!

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