

Freitag, den 6. November 1925
Heute kam von Käthe ein Brief. Gut, dass sie noch so viel Humor besitzt! Sie hat mich mit ihrem Brief zum Lachen gebracht.
Zwar ist der Himmel blau, die Sonne lacht, aber wir gehen heute doch nicht zu Schmidts, denn Lotte holt ihre Freundin Marga aus Göttingen ab.
Gestern Abend war Sprengerchen hier. Welch Unterschied zwischen ihr und Lotte! Scheinbar wurde sie noch nie von einem Mann geliebt. Deshalb hat sie manchmal dieses leicht ins Perverse gehende,was ich nicht haben kann. Sonst ist sie ein lieber Mensch, aber ihr Strickerchen mag ich, glaube ich, doch noch lieber.
Lotte war vorgestern bis zwölf Uhr bei mir. Da haben wir uns über unsere Verwandtschaft ausgesprochen. Beide Schwäger hätte sie nicht heiraten können. (Geld ist auch hier der Grund und sie ist neidisch auf ihren Bruder Kurt.) Nun kenne ich ihre ganze Familie. Nur den einen noch nicht genau…
So nahe sind Lotte und ich uns wiedergekommen, dann kehrte tiefe Ruhe bei mir ein. Ich habe ihr noch von den armen Mühlendahl erzählt. Wir saßen schweigend beieinander und fühlten das große Leid mit. Aber helfen können wir doch nicht. Wir haben beide nicht geschlafen in jener Nacht. Bange Fragen: Warum arm? Warum todkrank? Warum sie? Warum ich?
Gestern Morgen holten wir Lotte ab. Um halb zwei gab es Essen.
Lotte aß vor. Bine und ich saßen im Herrenzimmer. Da hörte ich die Haustür und jemand stellte seinen Stock ab. Mein Herz sagte: „Er ist es.“
Und wirklich. Da ging die Tür auf.
Er setzte sich in den Schreibtischsessel und erzählte von drei Wildschweinen, die er eben gesehen hätte.
Lotte lief hinauf,um sich umzuziehen. Ich war schon draußen, da fiel mir wieder der Hausschlüssel ein. Doch die Tür war schon hinter mir zugefallen. Ich hatte doch nicht den Mut, wieder hineinzugehen. Ich hatte Bine allein mit ihm gelassen. Ich stellte mich in die Haustür und sah in den Himmel. Immer hoffend, Lotte käme gleich. Stattdessen hörte ich sein Schritt hinter mir.
„Sagen Sie mal, mein gnädiges Fräulein, was machen Sie denn hier?“
Ohne ihn anzusehen: „Ich gucke mir den Himmel an.“
„So?“ Dann zog er seine braune Weste unter dem Rock hervor, und ich sah ihn in seiner ganzen Breite. Da kam Bine und sagte, Marga käme, dann könnten wir schön pokern.
Er wünschte nur, dass er einmal verlieren würde.
„Aber zwanzig gegen zehn gewinne ich. Deshalb habe ich gar kein Glück in der Liebe. Was sagen Sie dazu?“
„Das ist faul!“ sagte ich. Er lachte.
Endlich kam Lotte und zog mir ihre Strickjacke an. Er reichte mir seine große Hand, als ich mich nur mit einem Kopfnicken verabschieden wollte.
Großer Eichenberg. Lotte und ich in trüber Stimmung. Doch als die Sonne jenseits des Berges hervorkam, haben wir gesungen. Lotte fand auf dem roten Wege ein Hufeisen. Möge sie doch glücklich werden!
Die Baronin war sehr nett. Wir kamen erst um zwei zurück, Durstig und hungrig.
Nachmittags wurde unten gepokert wieder. Das heißt: Lotte trafen wir wieder im Flecken, und machten dann Besorgungen.
Als wir ins Herrenzimmer kamen saß Edam am Schreibtisch. Ich glaube schon, dass er es faustdick hinter den Ohren hat. Frau Schmidt pokerte mit uns. Da kam auch Kurt. Ich möchte wissen, ob er sich freut, wenn wir da sind.
Er diktierte erst noch Herrn Edam, dann restaurierte er sich, indem er eine gelbe Jacke anzog, und spielte mit uns. Er gewann dauernd! Ich verlor…
„Ich verstehe nicht, warum das Geld immer zu mir hin will!“
Ich sah auf meinen Rest.
„Gutes Fräulein. Sie müssen wirklich Glück in der Liebe haben.“
„Das ist aber auch das Einzige!“ sagte ich.
Alle lachten. Er war großzügig und pumpte mir zwei Mark.
Nächstes Spiel: Mah-Jong. Ich musste ihn einweihen.
Seine Blicke in meinen. Er hat gar keine hässlichen Augen.
Wie ich ihn doch lieb hatte! Es störte mich auch gar nicht, dass seine Mutter mich noch beobachtete. Ich möchte wohl wissen, was die Alten denken.
Dann spielten wir. So ernst und vernümpftig liebe ich ihn viel mehr, als wenn er so albern ist.
Zum Schluss kam noch das Gespräch auf das Roland Ernst. Seine Mutter hatte ihm davon erzählt.
Bine sagte: „Das ist meine erste Liebe. Jede Nacht träume ich von ihm.“
„Dann liebst du ja auch unglücklich, denn lange kann der dann nicht mehr leben. Da können wir uns mal wieder die Hand reichen, ich habe ja auch kein Glück in der Liebe.“
Warum sagt er das immer? Will er mich damit reizen? Oder ärgern? Oder was? Wie oft habe ich ihm wohl schon die Hand gegeben?
Vor mir liegt ein Brief an ihn, den mir die Baronin bei Tisch gab.
„Sabine Schmidt“, sagt sie zu ihrer Tochter mit einem Seitenblick auf mich.
Ich wollte, Lotte läde mich Sonntag zu einer Autofahrt ein, wie sie es auf dem Spaziergang andeutete.
Halb vier.
Ich will nachher zur Post: Paket an Mühlendahl und Geld an meine Schneiderin schicken.
Mir fehlt etwas an den Tagen, wenn ich nicht unten gewesen bin.


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