

Donnerstagabend, den 26. November 1925
Nur wissen möchte ich, ob er um meine Liebe weiß. Wie soll das so weitergehen? Jeden Tag sehen und jeden Tag schweigen?
Heute liegt tiefer Schnee, und es friert dazu. Edam will sich seine Schlittschuhe schicken lassen. Der Chef will Schneeschuh laufen. Ich möchte im Schlitten durch die weiße, weite Welt fahren, wie ich es immer geträumt habe… mit ihm.
Jetzt sitzen sie sicher alle um den Tisch herum. Ob er an mich denkt?
Bine und ich waren unten. Es war herrlich wie sonst auch. Er saß rechts von mir. Warum sah er mich nur so oft an? Ich kann ihn danach einfach nicht wieder ansehen.
Er hatte wieder fabelhaftes Glück im Spiel. Ich habe jetzt drei Mark Schulden hob dabei immer sein Unglück in der Liebe bei Frauen hervor. Warum nur? Ich konnte nur lachen.
Als Edam kam, wurde er ganz still. Ob er wohl denkt, ich liebe den?
Edam spielte Grammophon, und ich musste leise mitsummen. Dabei dachte ich nur: „Wie lieb hab ich dich!“
„Heute Abend dürft Ihr mir mein Wichtel aber nicht wieder wegnehmen!“ sagte Bine, und alle lachten. Vor „Beängstigung“ hatte sie gestern nicht einschlafen können.
Und gestern, ja! Mittags lief ich hinunter. Der Jude, der alte Schmidt und Lotte spielten Mal, Kurt empfing den Hoffrisör. Dann kam er. Mit einem Freudengeheul begrüßte er mich.
„Fahren wir?“
„Ja. Bestimmt um drei mit dem Einspänner zur Bahn. Abends dann ins Theater zu Fra Diavolo.“
Baronin und Mädi schwärmten von den Melodien. Vor dem Tisch waren sie äußerst liebenswürdig. Bine half mir beim Anziehen.
„Du bist glücklich“, sagte sie immer und umarmte mich. „Süß, in dem grünen Kleid mit dem Vogelhut!“
Das Wetter war wild: Sturm, Hagel, Schnee.
Wir sind zur Bahn gefahren: der Jude saß mit bei uns im Wagen, und Kurt Schmidt schlug ihm scherzend seinen Gummikragen hoch, sodass Lotte und ich uns vor Lachen nicht halten konnten.
Dann fragte er den Juden nach seiner Reise. Er war per Auto in Dortmund und Düsseldorf. Als Lotte meinte, das wäre ihr jetzt zu kalt im Auto, sagte er:
„Na, gnädiges Fräulein, dann fahren Sie mit! Nicht wahr, Lottel, dann kannst du im Hause bleiben!“
Wie gern täte ich das, wie gern!
Dann in Göttingen: erst zu seinem Automeier, dann Besorgungen.
Um sechs Uhr Treffpunkt bei „Kram & Tanz“. Auf die Minute pünktlich. Das wollte Lotte noch nicht erlebt haben! Wir hatten alles erledigt und sogar schon unsere Torte gegessen, als er sich zu uns setzte. Er betrachtete die Damen in der Fensternische und sagte lachend, er wolle nachher nur mich ansehen. Durch den Ratskeller gingen wir nur, weil keine Musik mehr war, und kamen dann in ein anderes Lokal. Er saß mir gegenüber und flaumte dauernd.
Den Namen Rudolf hat er nicht vergessen, aber nun weiß er wohl doch, dass ich den nicht liebe.
„Sie beanspruchen eine Unmenge Liebe“, meinte er. Dann sah er mich an, freute sich an meiner Farbe. Ich müsse doch kerngesund sein. Es tat mir weh, als er fragte, ob ich ihn denn auch zu meiner Hochzeit einladen würde.
„Das weiß ich noch nicht.“
„Warum wollen Sie mir das nicht versprechen? Ich mache Ihnen auch eine schöne Hochzeitszeitung!“
Er ist mir rätselhaft.
Und dann wieder, das erste Mal wäre es hier im Theater am schönsten gewesen.
Auf meinen fragenden Blick hin sagte er: „Ja, da waren Sie mit dabei.“
Ich muss ihn wohl ungläubig angesehen haben, denn er beteuerte: „Ja, ja, Sie können mir das glauben.“
Ja, was soll ich schließlich von ihm glauben?
Im Theater saß er erst hinter uns, dann zwischen uns. Dicht gedrängt, unten Pensionat Wulze. Ich sah mir die Mädels durch das Opernglas an und fand nur die Stolze hübsch.
„Da haben wir wieder etwas Gemeinsames“, sagte er und sah mich an. Ich fühlte mich so wunderbar glücklich, dass er neben mir saß. Ob er das wohl fühlte?
In der Pause frisierte sich Lotte. Er stand vor mir und tat mir den weiten Mantel vor.
Die ganze Welt war mir einerlei. Er war alles. Ich brauchte ihn gar nicht anzusehen. Nur seine Nähe zu wissen und seine Stimme zu hören. Da konnte einem kein Leid geschehen, so stark und gut war er.
Lotte wollte noch das Pensionat begrüßen. Ich sollte mit, aber ich dankte ab.
„Ich geh auch nicht mit, ich bleibe bei Wichtel“, sagte er da. Und nun blieb Lotte auch.
Ich sah mit meinem Glas zum dritten Rang hinauf, da winkte einer mit der Hand. Ich war so überrascht, dass ich gleich herausplatzte: „Der Affe winkt da!“
„Ja, wie kommt das nur, dass alle gleich winken, mein gnädiges Fräulein?“ Dabei sah er mich schelmisch lachend an. Ich war peinlich rot geworden und sah nicht wieder hinauf.
Dann alle Augen auf die Bühne. Der Dragamer war ein hübscher Kerl, und seine Partnerin entzückend, sang und spielte gut, das Abendkleid hinreißend. Wir waren alle begeistert.
Danach Franziskaner! Musik, Abendessen. Er und ich hatten Schnitzel mit Blumenkohl. Es waren viele Studenten da. Unsere Unterhaltung war mäßig. Warum erzählte er nicht wie sonst?
Um elf war das Auto bestellt; halb zwölf fuhren wir los. Ich saß vorn bei ihm. Überall Schneegestöber. Eiskalt, aber ich fror nicht. Ich schloss die Augen und konnte nur denken: „Wie schön das ist!“
Ist das nicht wieder die Erfüllung eines Traumes? Ob mir auch mein Kindertraum erfüllt wird? Lieber Gott, schenke mir sein Herz.


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