Rodeln, Lachen und Lieben

8–12 Minuten

Montag, den 30. November 1925

Bine und ich waren auf der Rodelbahn „hinterm Prebsen“. Donnerwetter, war die Bahn glatt und schneidig! Kindergewinnend. Fräulein Prieß war da und ich glaube, das war ihr Freund.

Jetzt bin ich todmüde. Am liebsten würde ich gleich baden, dann zu Bett gehen, träumen. Ich träumte von allem, was ich erlebt habe, und vergäße damit, dass er doch heute Nacht für acht Tage und vielleicht noch länger nach Ostpreußen fährt. Ich fühle ganz deutlich, wie er für mich Freude, Glück, Sicherheit… ja überhaupt die ganze Welt bedeutet.

Freitag war ich nicht unten. Am Sonnabend aber liefen Bine und ich schon früh, um halb drei, hinunter, um Lotte zum Rodeln abzuholen, wie wir es morgens auch schon getan hatten. Da wollte Lotte mit ihrem Bruder nach Göttingen, aber auf unsere Bitte ließ er uns Lotte hier. Er hätte uns am liebsten alle mitgenommen. Wie gern wäre ich mit ihm gefahren! Er wollte so schnell wie möglich wiederkommen.

Das Rodeln mit Lotte war unter aller Kanone, aber wir haben wieder herzlich gelacht, mehr als Bine und alle Jungen zusammen. Aber schließlich habe ich es doch gelernt.

Nachmittags saß ich mit Lotte auf der Chaiselongue, wir klönten über Kissen, Weihnachtszettel und Kleinigkeiten.
Dann kam der Bruder, und wir taten Botzkp weg. Er saß schräg im Sessel, die Zeitung lesend, aber er war doch da.

„Kommen Sie doch morgen herunter“, sagte Frau Schmidt.

„Ja, gern“, antwortete ich.

„Heute Abend bleibst du doch zu Hause?“ Bines fragende Augen.

„Ja.“

Aber ich sagte mit Absicht nicht, dass ich Lotte erwartete.

Ich saß am Fenster und sah hinaus auf den weiten, leuchtenden Schnee und hatte nur den einen Wunsch: „Käme sie doch!“
Taulin kam aus seiner Haustür, ging zum Pferdestall. Vielleicht durften sie doch nicht mehr weg. Da, eine dunkle Gestalt im knirschenden Schnee: „Huhu!“

Mein Herz jubelte. Schnell lief ich ihr entgegen.

Mir ist noch kein Mädchen so begegnet wie Lotte. Sie kämpft jedes Mal mit mir. Ich solle meine Augen doch gebrauchen. Es wäre doch gelacht, wenn ich die Männer nicht für mich interessieren könnte. Und dann, das wüsste ich doch wohl, dass man in mich verliebt sei. Ob er das ist? Aber ich weiche ja immer so geschickt aus.
Manchmal, sagt Lotte, dächte sie, ich hätte kein Herz, wenn man sieht, wie todtraurig ich aussähe, könnte sie nicht so hart bleiben. Ich sollte mich bessern.

Es war wieder halb eins geworden. Und dann kam gestern:


Sonntag, den 29. November 1925 – 1. Advent

Morgens erst gewählt und dann um halb elf mit dem Rodelschlitten hinunter. Wir bringen immer alle auf die Beine! Der gute Kurt schnallte sich draußen die Ski an, wobei Bine und ich ihn tüchtig neckten. Dann hieß es: Los!

„Bahn frei!“ Lotte und ich sausten an ihm vorbei. Wie herrlich war’s! Er landete das erste Mal auch auf seinen Po. Das Aufstehen war schwer, aber irgendwann schaffte er es. Ich lobte ihn gern und freute mich, wenn es ihm gelang.

Er war vorausgefahren. Lotte und ich fuhren in einem wahnsinnigen Tempo hinterher. Wir konnten nicht mehr bremsen, sausten gegen einen Baum und kugelten über den Schnee. Er stand da und lachte. Und ich lachte mit. Das war Leben!

Wir waren für den Nachmittag um vier wieder verabredet. Als wir kamen, waren alle da, auch Herr Edam. Der merkte bald, dass Kurt mit mir hinuntergefahren war. Ich fühlte, dass Herr Schmidt auch etwas ahnte, als er uns sah. Er bat deshalb Bine, mit Edam zu fahren, aber der sagte, er müsse gleich zur Jagd. Dann setzte er sich zu mir auf den Schlitten, wünschte seinem Chef noch viel Spaß und wir sausten hinunter. Man wollte abends noch ins Theater. „Du kommst doch mit“, sagte Kurt Schmidt und gab Lotte und mir einen kräftigen Schubs, sodass wir wie verrückt dahinsausten. In einem fabelhaften Tempo, sodass wir den Baum umarmen, um nicht den Abhang hinunterzurollen. Was für ein Lachen!

Als wir wieder oben waren, merkte ich, dass er sich etwas sehr wünschte. Und als ich auf dem Schlitten saß, sagte er: „Gnädiges Fräulein, soll ich mal mitfahren?“

Er setzte sich hinter mich, aber ich hatte Angst, dass wir den Abhang hinunterfegten, deshalb bremste ich. Da hielten wir mit einem Mal mitten auf der Bahn. Er saß auf der Erde, der Schlitten war mal heil gewesen! Bald waren wir von der ganzen Jugend umringt, und wir lachten, während wir das „Tier“ wieder fertig machten.

Dann kam Bine, einigermaßen entsetzt. Herbert fragte mich, ob er den Schlitten gleich mit hinaufnehmen solle, aber Kurt Schmidt wollte ihn lieber zu seinem Stellmacher bringen. Nun war das Rodeln zu Ende.

„Ausgerechnet ihr beiden,“ sagte Lotte und es war Bines Schlitten!

Aber gefreut habe ich mich über ihn, als Bine ihm die Straße verbieten wollte: „Das ist Papis Straße!“

Da sagte er, und ich sehe noch seine blitzenden Augen: „Ich bezahle Geld dafür. Sie gehört mir. Sie führt zu meinem Schafstall!“

Da musste ich ihn ansehen. Wie lieb ich ihn!

Bine rodelte weiter. Ich ging mit ihnen den Berg hinunter und ließ mir den neuen Schweinestall von ihm zeigen. Um vier sollte ich unten sein, um zur Weihnachtsausstellung nach Göttingen und vielleicht auch abends ins Theater zu fahren.

Um halb vier ließ ich Bine ins Haus, zog mich um: schwarzes Kleid mit Weiß. Noch schnell einen Kaffee getrunken und den Berg hinab. Wie selig! Frau Schmidt sollte auch mit. Dann war niemand zu Hause, also gingen Lotte und ich in den Flecken. Die Mädchen gespielt, bis schließlich alle drei da waren. Wir nahmen uns dicke Pelzdecken und stiegen ins Auto. Lotte und ich saßen hinten, Kurt mit seiner Mutter vorn.

Eine Fahrt durch die weiße Winterwelt mit den Menschen, die ich liebte. Ich dachte immer daran, dass ich solche Menschen gefunden hatte! Wie gut der liebe Gott doch mit mir war. Und um uns herum war die schönste Weihnachtswelt.

Wenn wir durch die Dörfer fuhren, jubelten die Jungen, und die gelben Lichter leuchteten über dem Schnee. Er saß da, der Bruder von Lotte, und führte uns so sicher. Das war Weihnachtsstimmung! Ich fühlte mich so glücklich wie damals als Kind.

Da waren so viele, viele Lichter. Ich konnte kaum meinen Augen trauen. Auch wenn mir die kalte Luft scharf entgegenwehte. Das musste ich sehen. Göttingen!

Wir fuhren durch die hell erleuchteten Straßen und dann stiegen wir aus. Lotte hakte sich bei ihrer Mutter unter, und nun wurden Läden besehen und Schaufenster. Wir beide gingen nebeneinander.

Ich könnte mich noch ärgern, dass ich nicht auf seinen Vorschlag eingegangen bin, zu „Kram & Tanz“ zu gehen. Ich konnte es wieder nicht! Und ich konnte es auch nicht ändern, dass wir nebeneinander hergingen, selbst wenn unsere Herzen nach Liebe schrien.

„Warum können wir es nicht so machen wie die und ebenso glücklich sein?“ Seine Stimme neben mir.

Dann standen wir mit den beiden vor einem Schaufenster. Er machte dumme Bemerkungen. Einmal war er verschwunden.

„Da hinten steht er“, sagte Lotte, „hol den Treuen mal.“

Versunken stand er vor einem Fenster.

„Ich soll Sie holen.“

„Ja.“

Dann gingen wir weiter, wieder hinter den beiden her.

Wie sollte ich ihm nur zeigen, dass ich ihn gern hatte? „Wann fahren Sie denn nach Ostpreußen?“

„Morgen noch.“

„Für wie lange denn?“

„Acht Tage, aber ich glaube, ich werde da wieder nicht wegkommen. Da muss ich mir erst mal wieder etwas fürs Herz holen.“

Ich kann ihm aber doch nicht sagen: „So, hier ist mein Herz!“


Nach Tisch:

Ach, ich lache. Ja, man muss es wohl! Sind die Menschen hier verrückt? Früher hätte ich mich halbtot geärgert. Erst kriege ich von ihm zu hören, dass der Waldi nicht unten bei Schmidts sein soll. Als ob ich das verbrochen hätte! Ich ließ ihn reden und aß mein Brot weiter. Als er zum zweiten Mal anfing, sagte ich nur: „Ja, ich würde den Hund auch bestimmt nicht unten gelassen haben.“

Na, das hieße es, denn Bine solle solche Dummheiten nicht wieder machen. Das war der erste Streich. Der zweite kam von ihr: Ich sollte in der Küche oder beim Diener Bescheid sagen, wenn ich nicht zum Essen käme.

„Ja, wir wollten eigentlich um sieben wieder hier sein.“

Dann hat sie eben ihr Kind selbst zu Bett gebracht. Ich habe mich an den Ofen gestellt und gelacht! Am liebsten liefe ich jetzt hinunter und erzählte das. Naja, morgen.


Und jetzt weiter von gestern:

Wir landeten alle vier bei „Kram & Tanz“, am kleinen runden Tisch: links seine Mutter, rechts seine Schwester, er mir gegenüber. Nun wurde die Mutter überredet, mit ins Theater zu gehen und wirklich, wir haben’s fertiggebracht.

Ich hatte mir Makronen bestellt, gab dann aber Frau Schmidt meine, weil sie so traurig dreinsah, aber sie wollte sie nicht.

„Wenn ihr nicht wollt, nehme ich es!“ sagte Kurt und biss in meine Makrone hinein. „Oh, mein schönes Stück!“

„Nun iss sie mal weiter“, sagte Lotte, da hielt er mir schon seinen Teelöffel mit einem Stück von seiner Torte hin.

„Ich bin ja gar nicht so!“ lachte er. Aber ich hatte schon meinen Mund voll von seiner angebissenen Makrone, deshalb konnte ich’s nicht nehmen.

Zum Theater: Anne-Liese von Dessau (Kessler)! Wir saßen im Parkett. Fräulein Stolze war auch da, drei Reihen vor uns. Ich saß neben ihm, wir waren eingerahmt von seiner Mutter und Schwester. Er las mir den Text der Lieder vor.

„Das ist ja gerade wie für mich geschrieben!“

Er meinte, mein Lachen habe er so nötig und mein Lachen liebt er ja! Wir saßen so nahe, dass unsere Arme sich berührten. Da ging der Vorhang hoch. Musik, Studenten, Lachen, Singen. Ich sah alles ohne Opernglas und sah und hörte und fühlte nur seine Nähe. Hinter mir saßen viele Studenten, aber was sind die alle gegen ihn! Immer einschmeichelnder wurde die Musik: „Eine kleine Hochzeitsreise.“

Wieder sah er mich an und das erste Mal drehte ich mein Gesicht ihm voll zu und sah ihn an. Es war, als gehörte ich zu ihm. Noch jetzt bin ich glücklich, dass ich mich überwunden habe und ihn ansah. Nie werde ich vergessen, wie er zu mir nieder sah.
Lotte hat es sicher gemerkt. Ob sie nun zufrieden mit mir ist?

In der Pause gingen Lotte und ich hinaus. Aber der schönste Moment war, als ich wieder zu ihm zurückkam. Mir war, als ob er sich freute. Trotz der strengen Fürstin Mutter bekam der Leopold seine Anne-Liese.

„Ist doch gut, dass wir dich mitgenommen haben, Mutter“, sagte er auf dem Rückweg. „Da kannst du für später lernen, dass du gleich nachgibst.“

Dann weiter im Auto. Der Wind pfiff mir um die Nase. Von Lotte war nichts zu sehen, sie hatte die Mütze übers Gesicht gezogen, da habe ich in die Winternacht hinausgelacht.

Lotte hatte noch meinen Schlüssel, also musste ich noch mit ins Haus und ein Schnittchen essen. Lotte und Kurt setzten sich und ich lief mit meinem Schnittchen hin und her.

„Eine kleine Hochzeitsreise“, summte er dauernd. „Nicht, Mutter, das ist doch keine Sünde?“

Sie stieß mich an und lachte, dann ging sie nach oben. Er wollte, ich sollte mich noch hinsetzen, aber ich gab ihm die Hand zum Abschied. Da sah er noch schnell in sein Tagebuch und mir die Hand drückend, sang er: „Eine kleine Hochzeitsreise.“

Lotte brachte mich hinaus. Und den ganzen Tag summte ich nur dieses Lied.

Zweimal haben wir uns heute gesehen. Morgens, als er mit Bine und mir über den Hof zum Stellmacher ging, und nachmittags, als Bine, Lotte und ich im Flur mit dem Alten standen. Da kam er aus seinem Zimmer.

Und nun soll ich ihn acht Tage nicht sehen.

KI generiert

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