
Donnerstag, den 18. Dezember 1925
Mir ist ganz sonderbar zumute. So ein schmerzhaft süßes Gefühl, weil ich jetzt nicht unten bin, obwohl er mich bat, zu kommen. Nun vermisst er mich vielleicht. So wie gestern Abend, als sie mit dem blonden, graziösen Mädchen beim Adventskranz tanzten. Und ich war nicht dabei, obwohl Lotte mich noch vom Telefon aus einlud.
Aber ich erwartete Frau Sprenger. Dort unten wollte man sich ja nur mit dem blonden Pagenkopf amüsieren. Oh, ich kann das nicht immer mit ansehen. Ich kann dann nicht immer dabei sein.
Er soll mich doch in Frieden lassen. Wie er heute auf mich zukam, als Bine und ich im Flur standen, und mir eine lange Moralpredigt hielt wegen meines Wegbleibens.
Es wäre so nett gewesen, sagte er, und nur ich hätte noch gefehlt. Und Lotte schalt: zwei Tage bin ich schon nicht dort gewesen.
Ich habe sie alle so lieb, aber ich leide an dieser Liebe, weil sie nicht selbstlos ist.
Weil ich sie noch viel zu sehr für mich allein haben möchte.
Und dann denke ich wieder: wenn ich nun fort muss und immer ohne sie leben. Ich glaube, daran könnte ich sterben. Und manchmal fällt mir sowas ein, wenn ich mitten unter ihnen bin und Karten spiele. Wie heute wieder, wo Bine sich mit ihm auf dem Sofa herumschlug. Während Lotte „Zwicker“ erklärte und Frau Schmidt Pfefferkuchen herumreichte.
Und wenn er mich dann plötzlich ansieht, dann kann ich ihm nicht helfen. Ich darf ihm meine Augen nicht zeigen. Er darf das nicht merken.
Und dann verabschiedet er sich, fasst fast mit beiden Händen meine Schultern, und ich nehme mich zusammen, damit niemand mein Erblassen sieht. Und doch ist mir, als ob mit ihm alle Freude, alle Wärme verschwände.


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