
Dienstag, den 10. November 1925
Ich weiß selbst nicht, warum ich so traurig bin. In „Rolandstimmung“, wie Bine sagt. Ihr ging es gerade so, dann kann ich sie leiden. „Wandern zwischen zwei Welten“ ging mir durch den Sinn. Ich sah die ganze Welt in Trauer und beneide die beiden nur.
Als ich aufstand, kam die Sonne. Im Morgenrot musste ich singen:
„Gestern noch auf stolzen Rasen,
heute durch die Brust geschossen,
morgen in das kühle Grab.“
Ich sah mich im Spiegel an: die Backen rot, die Augen dunkelblau unter dem hellen Haar. Aber alles so traurig. „Darum still… füg ich mich, so Gott es will.“
Wacker streiten wollte ich, die Kraft dazu muss Gott mir geben.
Zwei Briefe.
Einer von der Regierung aus Hannover, dass ich in absehbarer Zeit dort nicht angestellt werden kann. Warum wird einem der Kampf so wahnsinnig schwer gemacht?
Der Zweite kam von Idel. Sie schreibt, dass sich das ganze Haus Brenneke über meinen Brief gefreut hat. Ja, aber warum schreibt Rudolf mir denn nicht? Ich würde mich sicher freuen!
Jeden Tag sehe ich die beiden Herren zweimal.
Gestern, als Bine und ich auf der Mauer liefen, ruft sie plötzlich: „Herr Schmidt… Hallo!“
Der winkte und fragte, ob wir nicht zum Mah-Jongg kämen.
„Heute nicht. Morgen.“
„Warum denn heute nicht?“
Dann liefen wir weiter. Und da ruft Bine auch schon: „Hu, hu, Herr Edam!“
Er fragt auch, ob wir nicht kämen. Beinahe könnte man sich was einbilden.
Als ich nachmittags hinunterkam, war Lotte allein. Marga war mit ihm aufs Feld gefahren. Lotte erzählte, dass sie mich gestern noch mit ihrem Bruder gezankt hatte. Er hatte sie „alte Jungfer“ genannt und sie nannte ihn „armen Jungen“. Und wütend ist sie geworden, als sie gesagt hatte, ich liebte H. Edam nicht. Das wäre alles nur Spaß von der Baronin. Das sie mich damit necke. Also will er wohl, dass ich Edam liebe. Da kann er ja lange warten!
Dann kamen Marga und ihre Mutter wieder und wir klönten noch etwas. Als er kam und mir die Hand gab, habe ich ihn lange angesehen. Heute, jetzt, sind wohl alle im Theater. Ob er mal an mich denkt? Ich glaube kaum. Heute habe ich ihm nicht die Hand gegeben.
Morgens sah ich ihn am Schreibtisch. Er verhandelte mit einem Geschäftsmann. Edam kam noch zur Schaukel. Dann kam endlich die Sonne, und wir gingen mit Marga auf den Wester-Berg. Lotte lud mich für den Nachmittag ein, aber das habe ich auf morgen verschoben, weil sie ja heute ins Theater wollen. Ich nahm das Kind an die Hand ging heim. Jetzt bin ich doch wieder allein.
Aber draußen geht es mir wieder besser. Nach den Schularbeiten sind Bine und ich über den Steinberg gegangen. Bei den Rüben am „roten Wege“ arbeiteten die Polen. Edam lief frierend auf und ab. Bine rief natürlich gleich wieder. Er brachte uns ein Stück des Weges und entschied, er wollte gern mit ins Theater. Der Chef müsse zahlen.
„Ein Tag vergeht wie der andere. Wer daran leidet, dem wird’s langweilig“, rief ich ihm zu.
Der Druck seiner Hand… Der Blick seiner stahlblauen Augen war ernst. Ohne ein Lächeln. Zehn Schritte weiter rief Bine: „Sie kommen mit der Else!“
Aber Else war es gar nicht. Der Wagen war voll. Die Insassen: er mit Marga. Sie fragten, ob wir heute zum Pokern kämen.
„Nein, nur morgen.“
„Aber ihr habt es doch versprochen!“
„Ja, aber wir fahren Sie fahren doch heute nach Göttingen.“
„Das ist noch gar nicht bestimmt. Nun fängt es ja schon wieder an zu regnen.“
Weiter ging’s.
Aber es freut mich doch, wenn wir kommen. Ich merke das mehr und mehr.
Diese Woche will er auch noch nach Ostpreußen. Im Dezember wird er dann mit Lotte viel reisen. Geplant sind: Düsseldorf, Hamburg, Berlin, etc. Gut, dass ich dann wohl in Hannover bin. Wenn ich mir ihn hier wegdenke, kommt mir Adelebsen tot vor.


Hinterlasse einen Kommentar